Limerick

Was ist ein Limerick? – Oder die Kluft zwischen Theorie und Praxis

Der Limerick ist ein kurzes, scherzhaftes Gedicht in Reimform. Seine Merkmale sind die Fünfzeiligkeit, das Reimschema aabba, die spezielle anapästisch-daktylische Rhythmik und die Pointe am Schluss, d.h. ein überraschendes Ende.

Die besten und einprägsamsten Limericks haben eine starke Pointe, nutzen nur saubere Reime und halten Reimschema sowie Rhythmik vollkommen ein. Welche von den folgenden Limericks dazu gehören, findet ihr sicher selbst heraus.

 

Reimschema

Das Reimschema ist aabba, das heißt, die erste, zweite und fünfte Zeile schließt mit demselben Reim ab. Die dritte und vierte Zeile hat einen eigenen Reim.

 

Rhythmik bzw. Versmaß

Die Zeilen eins, zwei und fünf weisen drei betonte Silben auf; die Zeilen drei und vier sind kürzer und haben nur zwei betonte Silben.

 

Zwischen zwei Betonungen innerhalb einer Zeile liegen zwei unbetonte Silben. Jede Zeile beginnt mit einer unbetonten Silbe (sehr häufig) oder mit zwei (seltener). Enden kann eine Zeile mit einer Betonung (häufig), mit einer unbetonten Silbe (häufig) oder auch mit zwei unbetonten (seltener).

 

Eine ungleiche Zahl von Silben in Zeilen mit gleichem Reim sollte, wenn irgend möglich, vermieden werden. Es ist aber statthaft, die Zeilen des einen Reims mit zwei unbetonten Silben zu beginnen, die Zeilen des anderen Reims jedoch mit nur einer.

Formvollendeter ist ein Limerick allerdings, wenn die Zahl der unbetonten Silben am Zeilenanfang für alle fünf Zeilen gleich ist.

 

Folgende Darstellung verdeutlicht die Rhythmik (mit da ist eine unbetonte, mit di eine betonte Silbe bezeichnet):

 

(da)dadida dadida dadi(da)(da)

(da)dadida dadida dadi(da)(da)

(da)dadida dadi(da)(da)

(da)dadida dadi(da)(da)

(da)dadida dadida dadi(da)(da)

 

Die meisten Limericks haben einen Ort, eine Region etc. als Reimwort am Ende der ersten Zeile. Eigentlich sollten es reale Orte sein, aber bei klangvoll-fiktiven Orten wie Dong (s.u.) kann man aus Gründen der wunderbaren Reime mal eine poetische Ausnahme machen.

 

Übersicht:

  1. Exklusiv-Interview mit Gregor Limerick
  2. Drei englische Limericks und sieben deutsche von Eugen Roth  
  3. 101 Limericks zum 90.- 100. Geburtstag meiner Mutter

 

Wann ist ein Limerick samt Pointe witzig und gelungen? Das müsst ihr für euch selbst entscheiden. Falls ihr mit allen meinen Limericks unzufrieden seid, dann schreibt doch einfach selbst welche. Schlechte Limericks gelingen immer, gute dagegen schon viel seltener.

 

Merke: Schwer ist leicht was.

 

Kurz zu Rechtschreibung und Interpunktion:

Jedes Wort am Zeilenanfang wird groß geschrieben. Auf Interpunktion wird weitestgehend verzichtet, außer bei wörtlicher Rede, Fragen und Ausrufen sowie innerhalb einer Zeile.

  1. Exklusiv-Interview mit Gregor Limerick:

 

Wie lange quält Sie schon der Tick?

Schon immer, sagt Herr Limerick

 

Ist es ein Tick oder gar ein Trick?

Ein Tricktick, sagt Herr Limerick

 

Sitzt jeder Schalk nur im Genick?

Er wandert, sagt Herr Limerick

 

Limern Sie jeden Augenblick?

Auch nachts und draußen, sagt Herr Limerick

 

Und wenn ich Sie aufs Zimmer schick?

Das nützt nichts, sagt Herr Limerick

 

Suchen Sie im Fluss nach Schlick?

Ich bin nicht dumm, sagt Herr Limerick

 

Finden Sie Quarz und Glimmer schick?

Nur Feldspat, sagt Herr Limerick

 

Wann ist ein guter Schwimmer dick?

Als Flusspferd, sagt Herr Limerick

 

Wann macht’s bei Ihnen meistens Klick?

Beim Fotografieren, sagt Herr Limerick.

 

Lesen Sie Newsweek oder Quick?

Meist Shakespeare, sagt Herr Limerick

 

Und wie steht’s dann mit der Politik?

Die meid‘ ich meist, sagt Herr Limerick

 

Was nehmen Sie am liebsten in Blick?

Soziales Engagement, sagt Herr Limerick

 

Auf wen haben Sie denn einen Pik?

Auf Donald Trump, sagt Herr Limerick

 

Wem wünschen Sie um den Hals den Strick?

Den Pädophilen, sagt Herr Limerick

 

Und haben Sie nicht Sorge, dass

Der Stumpfsinn wächst durch Ihren Spaß?

 

Die Dummheit, die verschlimmer ick

Nicht spürbar, sagt Herr Limerick

 

Denn Blödheit ist ein schlimmer Tick

Ärger als der dümmste Limerick

 

2. Als Einstieg 3 englische Limericks und 7 von Eugen Roth 

 

  1. R. Ormerod

There was a young student called Fred,

who was questioned on Descartes and said:

„It’s perfectly clear

that I’m not really here,

for I haven’t a thought in my head.“

 

William Cosmo Monkhouse

There was a young lady from Niger

Who smiled as she rode on a tiger

They returned from the ride

With the lady inside

And the smile on the face of the tiger

 

Gregor Schröder

There was a young sailor from Brighton,
Who said to his girl, „You’re a tight one.“
She replied, „Bless my soul,
You’re in the wrong hole;
There’s plenty of room in the right one.“

 

7 Limericks von Eugen Roth

 

Wir wähnen, als falsche Bemesser

Den anderen geh’ es viel besser

Doch mancher, dem’s Herz bricht

Der zeigt uns den Schmerz nicht

Dafür die Fassade viel kesser

 

Der Mensch sagt oft zwar so leichthin

– Und doch, die Wehmut beschleicht ihn –

Der Tod treffe jeden!

Doch, noch unter’m Reden

Hofft er, er träf’ nur vielleicht ihn

 

Die Presse, die oft voller Tücken

Macht gern Elefanten zu Mücken

Noch lieber verfährt

Sie umgekehrt

Gilt’s Wahrheit zu unterdrücken 

 

So mancher, der heut’ noch verlacht ist

Schon morgen vielleicht an der Macht ist

Drum zieht es der Feige

Wohl vor, dass er schweige

Damit er mit keinem verkracht ist 

Gut wissen die Herrn zu vertuschen

Was alles dreist sie verpfuschen

Das Volk wird’s schon fressen

Und wieder vergessen

Hauptsache bleibt: Wird es kuschen?

 

Wir wähnen, als falsche Bemesser

Den anderen geh’ es viel besser

Doch mancher, dem’s Herz bricht

Der zeigt uns den Schmerz nicht

Dafür die Fassade viel kesser

 

     3. 101 Limericks zum 90.- 100. Geburtstag meiner Mutter

     

    Du bist jetzt grad 90 Jahr

    Hast prachtvoll seidenes Haar

    Wohnst in Norden am Meer

    Kamst von Bonn einst hierher

    Hast ‘ne Enkel- und Urenkelschar

     

    Du hast schon so vieles erlebt

    Wobei jede andere gebebt

    Doch du bleibst immer cool

    Nichts reißt dich vom Stuhl

    Dein Elan wird von vielen erstrebt

     

    Dein größtes Hobby ist Reisen

    Das Beste, um nicht zu vergreisen

    Griechenland und Türkei

    Stets warst du dabei

    Selbst Irak und Iran tat’st bereisen

     

    Nach Ägypten und Tunesien

    Flogst du, als wär’ nichts gewesien

    Spanien, Portugal

    Morokko, ganz egal

    Es fehlt jetzt nur noch Indonesien

     

    Gleich zweimal warst du in Mexiko

    Guatemala und Bolivien sowieso

    Mit Honduras und Peru

    Warst du fast schon per du

    In Kolumbien erging es dir ebenso

     

    Du bist ein Fremdsprachen-Ass

    Übersetzen macht dir richtig Spass

    Sei es Englisch, Französisch

    Italienisch und Spanisch

    Machst manchen Dolmetscher blass.

     

    Du erzählst für dein Leben gern

    Geschichten von nah und von fern

    Doch du kriegst keinen Schreck

    Ist der Faden mal weg

    Am Ende kommst stets du zum Kern

     

    Oft pilgertest du nach Kevelaer

    Mit Hatto, mit Gego und Enkeln gar

    Du hieltest gut mit

    Trotz gewaltigem Schritt

    Und sehr viel jüngerer Pilgerschar

     

    Sehr besorgt warst um unser Wohl

    Gabst uns Lebertran und Sanostol

    Marmelade aus Quitten

    Auf die Butterbrotschnitten

    Als Trost gab‘s Wirsing und Rosenkohl

     

    Mit uns hattest du’s nicht immer leicht

    Aber dank dir haben wir viel erreicht

    Hielten dich auf Trapp

    Jahr auf, Jahr ab

    Deine Liebe zu uns war niemals seicht

     

    Mit elf hatt‘ ich ‘ne Sucht nach gelb

    Die Ärzte wussten da keine Help

    Ihnen war es ein Graus

    Du kuriertest mich zu Haus!

    Gesund wurd‘ ich da fast von selb

     

    Deine Patin war eine Prinzessin

    Eine Hohenzollern und keine Hessin

    Von Thurn und Taxis geboren

    Ist der Kontakt auch verloren

    So bleibt Porzellan dir statt Messing

     

    Früher fuhrst du Käfer statt Opel

    Denn Opel fährt ja jeder Popel

    Grün war er, nicht schnell

    War immer zur Stell’

    Wär’ gefahren bis Konstantinopel

     

    Gern kurst du in Bad Wörishofen

    Hockst niemals gern hinterm Ofen

    Kneippst dich super fit

    Machst alles dort mit

    Sogar mit Kurschatten schwofen

     

    Dem Alkohol bist du nicht abgeneigt 

    Was sich an den leeren Flaschen zeigt

    Ob Metaxa oder Wein

    Da sagst du nicht nein

    Hast öfter Sekt dir gar abgezweigt

     

    Für uns hast du stets ein offenes Ohr

    Das schätzen alle hier nach wie vor

    Gibst Liebesschläge zuhauf

    Manche warten schon drauf

    Man fühlt sich dann wie neu geboren

     

    Du liest gern ganz viele Bücher

    Wirst dadurch klücher und klücher

    Du bist schon so kluch

    Schriebst dein Leben als Buch

    Wickelst alles in trockene Tücher

     

    So mancher nimmt viele Tabletten

    Glaubt damit Gesundheit zu retten

    Du selber nimmst keine

    Nein, nicht mal zum Scheine

    Ist gesünder, wollen wir wetten?

     

    Du bleibst immer ein Optimist

    Was total bewundernswert ist

    Lässt dich nie unterkriegen

    Oder dich gar verbiegen

    Drum bleib immer so, wie du bist

     

    Sollst mindestens 100 Jahr werden

    Oder älter! Bleib lang hier auf Erden

    Steig noch nicht in die Kist’

    Wenn du dreistellig dann bist

    Das wird ein Freudenfest werden!

     

    Dem Schiller seine Kraniche oder limerickfreier, lyrischer Introitus für Mutti zum 95.

     

    Wer zählt die Völker, nennt die Namen 

    Die gastlich hier zusammenkamen 

    Die Rheinländer und auch die Bayern

    Denn die verstehen was vom Feiern

     

    Natürlich kommen auch die Hessen

    Doch nicht allein, um hier zu essen

    Badenser sind jetzt schrecklich grün

    Das ist ganz einfach opportün 

     

    Ende der limerickfreien Zone

     

    Wir kommen von überall her

    95 bist du und mehr

    Wir fragen uns bang 

    Geht‘s wirklich noch lang?

    Noch bis 100, wenn nicht noch viel mehr!

     

    Wir seh‘n dich in alter Frische

    Du sitzest entspannt hier am Tische

    Denkst dir dein Teil

    Hast mehr als Kurzweil

    Dieweil ich die Reime erwische 

     

    Du bist unser Fels in der Brandung

    Wir sind für dich die Umrandung

    Du bist hier in Norden

    Verdienst jeden Orden

    Kaum gelingt meiner Lyrik die Landung

     

    Dein Alter ist schon legendär

    Dein Leben ganz spektakulär 

    Hast den Kaiser geseh‘n

    Die Paten-Prinzessin war schön

    Alles andere ist schon fast sekundär

     

    Zwei Kriege hast du überlebt

    Obwohl die Welt dabei erbebt’

    Hast uns Kinder erzogen

    Hattest raus den Bogen

    Unser Bestes hast du dabei erstrebt

     

    Wir waren nicht ganz pflegeleicht

    Haben trotz alledem etwas erreicht

    Das woll‘n wir dir danken

    Wiesest uns in die Schranken

    Sind jetzt ernsthaft und nur ganz selten seicht

     

    Für uns hast du stets ein offenes Ohr

    Das schätzen wir alle nach wie vor

    Gibst Liebesschläge zuhauf

    Manche warten schon drauf

    Man fühlt sich wie neu geboren

     

    Jetzt bist du ruhig und gelassen

    Zählst im Schrank die zahllosen Tassen

    Alle Tassen noch da

    Ist ja wunderbar

    Du wirst es dabei belassen

     

    Im Geiste bist du noch super fit

    So mancher kommt da schon nicht mehr mit

    Bist ein Sprachengenie

    Ein Bess‘res war nie

    Dein Sprachtalent folgt dir auf Schritt und Tritt

     

    Du bist jetzt Rollator mobil

    Ökologisch unglaublich stabil

    Das kostet kein‘ Sprit

    Hält dich auch noch fit

    Und hat in jedem Fall Stil

     

    Als Rheinländerin hast du Humor

    Der geht auf jeden Fall vor

    Et kütt wie et kütt

    Ganz wie in der Bütt

    Dir macht dabei niemand was vor

     

    Der Schluss des Gedichts ist niemals leicht

    Denn kaum hat man endlich das Ende erreicht

    Stellt man fest voller Schreck

    Die Gedanken sind weg

    Doch ein Lehrer hier wahre Größe zeicht

     

    Er macht aus der Not eine Tugend

    Verweist lächelnd auf seine Jugend

    Ist das Ende auch offen

    Nie er betroffen

    Ausreden hat er genugend

     

    Trotzdem muss er finden ein Ende

    Verzweifelt ringt er die Hände

    Ist das Ende dann da

    Schreien alle Hurra

    Dass wackeln vom Lärm noch die Wände

     

    Es ist nicht das letzte der Treffen

    Mit Enkeln und Kindern und Neffen

    Die Urenkelschar 

    Stets größer noch war

    Das kann man kaum mehr übertreffen

     

    So lasst uns das Glas jetzt erheben

    Unsre Omi soll himmelhoch leben 

    Das Feierende ist fern

    Wir haben uns ja so gern

    Was könnte es Schöneres geben!

     

    Für Mutti zum 96. Geburtstag – im biblischen Alter und noch kein Ende in Sicht !

     

    So manchen Vers hab ich gedroschen

    Der Wert lag oft unter ‘nem Groschen

    Sogar unter ein’m Cent,

    Weil fast jeder ihn kennt

    Fast denk ich, ich halte mei Goschen

     

    Was hab ich schon alles geschmiedet
    Dabei Geist und Nonsens befriedet

    Doch nach all den Jahren

    Zerr‘ ich die Point‘ an den Haaren

    Herbei, die sich dann verabschiedet

     

    Was hab ich nicht alles gedichtet

    Das Versmaß her- und hingerichtet

    Nichts war mir zu platt

    Fast war ich schachmatt

    Und mein Ruf beinahe vernichtet

     

    Doch des Dichters Ruf währet halt immer

    Drum dichtet er schlimmer und schlimmer

    Erst wenn er ganz dicht 

    Und die Lyrik gericht’

    Weiß er, schlimmer geht es immer

     

    Was soll man zu Mutti noch sagen

    Und zu all ihren Lebenstagen?

    Sie ficht es nicht an

    Ich denk mir, ja dann

    Kann sie ja noch manches vertragen.

     

    Wir treffen uns jetzt schon mal jährlich.

    Da frage ich mich doch ganz ehrlich

    Leb ich noch so lang?

    Mir wird schon ganz bang

    Das wär’ alles andere als herrlich

     

    Wir kommen aus ganz Deutschland her

    Und werden dabei immer mehr

    Doch auch älter gar

    Trotz der Kinderschar.

    Altern ist wohl gar nicht so schwer

     

    Deine Urenkelschar wächst ganz prächtig

    Sandra und Thomas bemühen sich mächtig

    Ihr Idol ist die Bibel

    Bei der Vornamensfibel

    Sie machen‘s wohl immer einträchtig

     

    Du besuchst noch gern deine Enkel,

    Hast dabei stets Hoppu am Henkel.

    Selbst nach Freiburg du fährst

    Als wenn 50 du wärst

    Da klopft man sich fast auf die Schenkel

     

    Du trinkst gern ein Gläschen am Abend

    Denn das ist erquickend und labend

    Sind‘s gar zwei oder drei

    Was ist schon dabei?

    Du meinst, das ist gar nicht schadend

     

    Sogar Kohlkönigin bist du geworden

    Und das in dem friesischen Norden

    Viel Kohl, viel Ehr!

    Machst den Teller ganz leer

    Bekamst dafür noch einen Orden

     

    Du pilgerst sogar noch nach Kevelar

    Wie in früheren Zeiten bald jedes Jahr

    Ist der Mercedes auch mit.

    Hältst du gar noch Schritt

    Wir finden das einfach wunderbar

     

    Sehr gerne isst mittags du aus

    Gehst dafür früh aus dem Haus

    Schafie, Reichshof, Goodewind

    Das schaffst du geschwind

    So lebst du in Saus und in Braus

     

    Der Kirchgang ist für dich Pflicht

    Du bist darauf ganz erpicht

    Ob‘s stürmt oder schneit

    Du bist allzeit bereit

    Selbst wenn es gäb‘ keine Sicht

     

    Du liebst am Abend den Krimi

    Wenn‘s sein muss, schaust du auch Schimi

    Sind die Morde auch schlimm

    Nie packt dich der Grimm

    Ohne gehst du nicht schlafen wie Mimi

     

    Du liebst die Geselligkeit sehr

    Feierst Feste, wie sie fallen, und mehr

    Prostest jedem gern zu

    Erst dann gibst du Ruh’

    Du denkst dir, viel Feste, viel Ehr‘

     

    Im Alter bist stets du gelassen

    Hast trotzdem noch alle Tassen

    im Schrank

    Gottseidank!

    Manchmal kann man es kaum noch fassen

     

    Du sammelst Kaffeelöffel ohn’ Enden

    Von jeder Weltstadt hältst du sie in Händen

    Moskau, Lima, Mumbai

    Berlin und Shanghai

    Wo soll das mit den Löffeln noch enden?

     

    Vielleicht wirst du uns all’ überleben

    Drauf wollen wir jetzt einen heben

    Auf die Mutti ein Hoch

    Kriegt der Himmel ein Loch

    Lernst du im Alter noch schweben

     

    Für Mutti zum 97. Geburtstag – und immer noch kein Ende in Sicht !

     

    Fast meint man, die Zeit bliebe stehen

    Doch nein, sie ist am vergehen

    Jedoch wohl nur für uns

    für Hinz und für Kunz

    Doch Mutti bleibt immer bestehen

     

    Du überlebst alle Katastrophen

    selbst meine gedrechselten Strophen

    Was global geschieht

    Schlägt dir nicht aufs Gemüt

    Nichts lockt dich hervor hinterm Ofen

     

    Selbst wenn dich rennt dein Enkel um

    Du bist und bleibst du ein Unikum

    Du stehst immer auf

    Trotz der Schmerzen zuhauf

    Scheinbar bringt dich nix mehr um

     

    Was hab ich schon alles geschmiedet

    Dabei Geist und Nonsens befriedet.

    Doch nach all den Jahren
    Zerr ich die Point‘ an den Haaren

    Herbei, die sich dann verabschiedet

     

    Was hab ich nicht alles gedichtet

    Das Versmaß her- und hingerichtet

    Nichts war mir zu platt

    Fast war ich schachmatt

    Und mein Ruf beinahe vernichtet

     

    Doch des Dichters Ruf währet halt immer

    Drum dichtet er schlimmer und schlimmer 

    Erst wenn er ganz dicht 

    Und die Lyrik gericht’

    Weiß er, schlimmer geht es immer

     

    Was soll man zu Mutti noch sagen

    und zu all ihren Lebenstagen?

    Sie ficht es nicht an

    Ich denk mir, ja dann

    Kann sie ja noch manches vertragen

     

    Wir treffen uns jetzt schon mal jährlich

    Da frage ich mich doch ganz ehrlich:

    Leb ich noch so lang?

    Mir wird schon ganz bang

    Das wär’ alles andere als herrlich

     

    Wir kommen aus ganz Deutschland her

    Und werden dabei immer mehr

    Doch auch älter gar

    Trotz der Kinderschar

    Altern ist wohl gar nicht so schwer

     

    Für Mutti zum 99. Geburtstag – Jetzt geht’s erst richtig los oder: je oller desto doller!

     

    Schon wieder – seit so vielen Lenzen

    Darf ich dichten und dir Verse kredenzen

    Was soll ich noch sagen

    Nach Millionen von Tagen

    Trotz lyrischster Kompetenzen?

     

    Mein Lieblingsvers ist halt der Limerick

    Den dichte meist ohne Kittel ick

    Kaum sind die Vers’ rund

    Sind vergangen paar Stund‘

    Am End‘ tolle Verse stets zimmer ick

     

    Vom Westen und Süden sind wir angereist          

    Der eine oder and’re bereits angegreist

    Doch das stört hier keinen

    Und wenn, dann nur einen

    Und der wäre besser gleich abgereist

     

    Der Weg hierher ist beschwerlich

    Die vielen Staus ganz entbehrlich

    Auch die Bahnfahrt ist lang

    Nicht nur Kindern wird bang

    Doch der Weg, er lohnt sich, ganz ehrlich

     

    Dein Lebenswandel ist meist fortgesetzt, 

    Deine Altersweisheit stets wertgeschätzt

    Du liebst den Trubel

    Auch ganz ohne Rubel

    Und behältst doch die Ruhe bis zuletzt

     

    So leicht kann dich nichts mehr erschüttern

    Es müsst’ schon ganz heftig gewittern

    Du sitzt ganz cool 

    Auf deinem Stuhl

    Wo andere aus lauter Frust twittern

     

    Am meisten liebst du den Humor

    Der kommt bei dir häufig vor

    Er versüßt dir den Tag

    Was auch kommen mag

    Fühlst dich gut dich dann wie nie zuvor

     

    Rheinländerin warst du so lange 

    Hältst deinem Wesen treulich die Stange

    Et kütt wie et kütt,

    Sagt man bei uns in der Bütt

    Und et hätt noch immer jot jejange

     

    Kaum triffst du auf der Straße Bekannte

    Freunde oder auch Anverwandte

    Sprichst freudig sie an

    Hältst ein Schwätzchen sodann

    Lachen ist bei dir eine Konstante

     

    Du besuchst noch gern deine Enkel,

    Hast dabei stets Hoppu am Henkel

    Selbst nach Freiburg du fährst

    Als wenn 40 du wärst

    Verwandte geh‘n dir nie auf den Senkel

     

    Deine Urenkel- u. Enkelschar ist riesig

    Man sieht sie, selbst wenn es ist diesig

    Sie wohnen verstreut

    Haben das nie bereut

    Nur wenige bleiben ganz hiesig

     

    Du blickst zurück auf ein Leben

    Erfüllter, als die meisten erstreben

    Schriebst darüber ein Buch 

    Atemberaubend genuch

    Mehr als du kann man kaum noch erleben

     

    Weltgeschichte hast selbst du erfahren

    Seit fast einhundert Jahren.

    Monarchie, Diktatur

    Kommt bei uns nicht mehr vur

    Mit Demokratie sind wir bestens gefahren

     

    Am Abend trinkst du gern ein Gläschen

    Denn dafür hast du ein Näschen

    Sind‘s gar zwei oder drei

    Was ist schon dabei?

    Es belebt deine alten Gefäßchen

     

    Wenn du es gut mit uns meinst

    Erzählst Geschichten von früher und einst

    Wir hören sie gern

    Kommst du nicht zum Kern

    Wissen wir trotzdem, was du meinst

     

    Ich könnte noch so viel berichten

    Und dichten und dichten und dichten!

    Mutti, bleib, wie du bist

    100 Jahr du bald misst

    Am End’ bist dennoch mitnichten

     

    Für Mutti zum 100. Geburtstag – Same procedure as every year?

     

    Mutti, jetzt bist du schon hundert

    Was keinen von uns hier verwundert

    Nur der Dichter ist irritiert

    Aus früheren Versen er zitiert

    Hoffentlich wird er trotzdem bewundert

     

    Hat die Muse 100 Jahr’ je begleitet

    Wobei Qualität voranschreitet?

    Bei mir trifft’s stets zu

    Eh‘r geb ich keine Ruh’

    Niemals Skrupel mich dabei geleitet

     

    Verse zerr’ ich herbei an den Haaren

    (K)ein Wunder nach so vielen Jahren

    Hauptsach’ am Ende es passt

    Um den Verstand reim‘ ich mich fast 

    So kommt man zu Gedichten in Scharen

     

    Schöne Worte man meist mit dem Mund ehrt 

    Was keinen von uns wirklich wundert 

    In der Wiederholung liegt die Kraft

    Damit’s der letzte auch rafft

    Normal nach einem Jahrhundert

     

    Von Süd, Ost und West sind wir angereist            

    Die Hälfte von uns schon recht angegreist

    Die andere ganz klein

    So soll es auch sein

    Niemand wird hier einfach nur abgespeist

     

    Vielmehr wird er sehr gut unterhalten

    Es sei denn jemand ruft: „Abschalten!“

    Ich fänd‘ das nicht nett

    Nichts mehr zu sagen ich hätt’

    Doch bis dahin kann ich schalten und walten

     

    Dein Lebenswandel ist recht fortgesetzt 

    Obwohl du dich längst hast zur Ruh’ gesetzt

    Je ärger der Trubel

    Desto größer dein Jubel

    Dabei behältst du den Durchblick bis zuletzt

     

    Deine Altersweisheit hilft dir fast immer

    Wird’s bei andern auch schlimmer und schlimmer

    Du sitzt in deinen Sesseln

    And’re setzen sich in Nesseln

    Doch das ficht dich an wirklich nimmer

     

    Dein Humor ist scheinbar unendlich

    Daran bist du leicht erkenntlich

    Für Jammern und Streit

    Hast du keine Zeit

    Bei deinem Alter mehr als verständlich

     

    Kaum siehst du Freunde, Bekannte

    Oder auch liebe Anverwandte

    Begrüßt du sie voll Freud’

    Hörst dir an auch ihr Leid

    Selbst wenn man‘s in Spanisch benannte

     

    Deine Urenkel- u. Enkelschar explodiert

    Nur Wenigen ist das so passiert

    Selbst wenn Ururenkel in Sicht

    Verwunderte dich das nicht

    Da schon viele Rekorde du kassiert

     

    Am Abend trinkst du gern Rotwein

    Das belebt dich nicht nur zum Schein

    Ein Gläschen in Ehren

    Kann niemand verwehren

    Leider gibt‘s das nicht auf Krankenschein

     

    Du blickst zurück auf ein Leben

    Rasanter, als die meisten erstreben

    Wer’s nicht glaubt, liest dein Buch, 

    Mit Geschichten mehr als genuch

    Soviel wie du kann man kaum noch erleben

     

    Wenn du in Gesellschaft bist

    Erzählst gern, wie’s einst gewesen ist

    Kommst du mal ins Stocken

    Sind wir nicht von den Socken

    Wir kennen’s, auch wenn du was vergisst

     

    Wer feiert mit dir in 50 Jahren?

    Von uns Älteren wird das keiner erfahren

    Vielleicht kommt dann dinner for one

    Butler James muss ran

    egal wie alt er an Jahren

     

    James stolpert dann über’s Tigerfell,

    So strapaziert er der ander‘n Zwerchfell

    Same procedure every year

    Silvester und dann auch hier

    Man gewöhnt sich daran ziemlich schnell

     

    Rosenmontag bist du nicht geboren

    Doch hast ihn zum Geburtstag erkoren

    Der rheinische Humor bleibt dir treu

    Was immer auch sei

    Den Spaß hast noch nie du verloren

     

    Für uns bist du fast wie die Queen

    Bekommst auch Lächeln und Winken gut hin

    Ob’s stürmt oder schneit

    Ihr seid allzeit bereit

    Für euch wohl die beste Medizin